K78 | Der salonfähig gewordene Hass auf die zur neuen gesellschaftlichen Unterklasse erklärten Menschen
4. Mai 2013 |
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Auf den ersten Blick ist es irgendwie unglaublich, welchen Hass manche Menschen auf andere ihnen in der Regel völlig unbekannte Menschen zu entwickeln vermögen. Für den Hass genügen wenige Stichworte: "Bezieht Sozialhilfe und will die vom Sozialamt verordnete Arbeit nicht leisten." Oder auch nur: "Ist Wirtschaftsflüchtling." Oder: "IV-Bezüger reist regelmässig in die Ferien nach Spanien." Oder auch nur: "Das ist halt so ein Jugo." Die näheren Umstände dieser oder jener Biographie möchten die Hassenden gar nicht kennen lernen, und das wollen auch diejenigen Journalisten nicht, welche die einschlägigen Schlagzeilen liefern und von ihnen leben. Man will nur die Stichworte, um auf dieser Basis bösartig drauflos projizieren zu können. Die dafür ausgesuchten Menschen werden zum Vornherein negiert, als Menschen negiert, wahrgenommen einzig als Nichtswürdige oder implizit gar - und dieses Wort wurde ja auch explizit mal so verwendet - Untermenschen. Die überaus bösartige Frage damals lautete: "Sind Sie etwa ein Jude?" Die Fragenden warteten geradezu darauf, auf die Gefragten - bei Bejahung der Frage - einschlagen zu dürfen. Die dem Hass Ausgesetzten werden ganz praktisch in nichtswürdige Positionen gezwungen: "Fötzeln" im Park in speziellen "Übergwändli" (unter keinen Umständen gekleidet wie städtische Angestellte!), dies möglichst unter den Augen der Öffentlichkeit: "Wenigstens machen sie (das heisst die ansonsten zu nichts Nützigen) sich auf diese Weise nützlich." - "Aber hast Du gesehen: Sie sitzen zwischendurch einfach auf eine Parkbank und rauchen!" - "Auch ein Jugo ist dabei." - "Sie sollen froh sein, kriegen sie auf diese Weise eine Tagesstruktur (was immer auch meint: sie sind ja grundsätzlich unfähig, den Tag zu strukturieren)." Vor rund achtzig Jahren wurden Menschen in Deutschland unter dem Gelächter der Passanten dazu gezwungen, die Gehsteigkante mit Hilfe einer Zahnbürste zu "reinigen", und viel anderes Schreckliches mehr. Alles Bessere war "für Juden verboten". Und dann Auschwitz. Selbstredend ist man heute nicht wieder soweit. Aber wenn man sich ansieht, wie verbreitet der beschriebene Hass auf die zur neuen Unterklasse erklärten Menschen ist - und zwar nicht alleine bei Rechten, auch bei Linken -, dann kann man sich leicht vorstellen, dass alle diese Leute auch weitere Verschärfungen nicht nur mittragen, sondern gar auch fordern werden. Asylgesetzgebung, Ausländergesetzgebung, Gesetz zur Arbeitslosenversicherung, Gesetz zur Invalidenversicherung, Gesetz zur Sozialhilfe, Strafgesetzgebungen, überall folgte und folgt Verschärfung auf Verschärfung. Dieser Prozess gleichsam der Entmenschlichung der Gesellschaft hat viel zu tun mit der riesigen Kluft zwischen dem den Menschen gemachten gesellschaftlichen Versprechen und der gesellschaftlichen Realität, in welcher diese Versprechen genau nicht eingelöst werden. Darob erschrickt schon das Kind. Der Hass auf Dritte gründet in der unverarbeiteten Enttäuschung ob dieser Kluft. Man will sie in sich verdrängen, so tun als wäre sie nicht da, als wäre alles schon gut, trotz des täglichen Kampfs um die Lohn- respektive mit der Lohnarbeit, trotz des täglichen Ausgebeutetwerdens, trotz der ganzen privaten Mühen. Dieses "Trotz" will verdrängt sein, wozu es dann der Sündenböcke bedarf, gestern der Juden, heute der zur neuen gesellschaftlichen Unterklasse erklärten Menschen. Auf sie wird der verdrängte Hass gegen die das Versprechen auf ein gutes Leben nicht einlösenden Gesellschaft übertragen. Damit erklärt sich auch das Missverhältnis zwischen der Grösse des Hasses und der Schwäche der Opfer. Die Hassenden sind gleichzeitig überaus hörig bestimmten autoritären Strukturen, etwa der eigenen Partei gegenüber, feige-brutal gegen die, die praktisch schon am Boden liegen. Die Utopie reflektierter Dialektik der Aufklärung bestünde darin, die erwähnte Kluft als gesellschaftliches Grundproblem einzusehen, sie bestimmt zu negieren, die gesellschaftlichen Grundlagen des Hasses aufzuzeigen, zu verarbeiten, aufzulösen. |
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